Die Gartenzwerge sind verpackt, die Saison zu Ende. Bestsellerautor Wladimir Kaminer hat über sein Gartenjahr unter Laubenpiepern ein Buch verfasst. Im Interview mit stern.de spricht der gebürtige Moskauer über das verbrecherische Treiben von Kleingärtnern und die Ursachen der deutschen Spießigkeit.
Andrea Tholl: Sie sitzen hier in schwarzem Anzug, gebügeltem Hemd und mit gepflegten Händen. Das sieht eher nach Manager aus als nach hart arbeitendem Kleingärtner. Haben Sie den Schrebergarten in Ihrem neuen Buch nur erfunden?
Wladimir Kaminer: Warum soll ich mir so etwas ausdenken? Das wäre doch krank. Ich habe tatsächlich einen Schrebergarten gepachtet.
In Ihrem Buch heißt die Kolonie „Glückliche Hütten 1 und 2“. Ein Kleingartenverein dieses Namens existiert jedoch in Berlin gar nicht.
Ein bisschen literarische Freiheit darf schon erlaubt sein. Der richtige Name der Kolonie ist „Bornholm 1 und 2“. „Glückliche Hütten“ klingt nur einfach besser. Ansonsten kann ich es nicht leiden, wenn Autoren ihren Lesern etwas vormachen. Besser ist es, Chronist seiner eigenen Zeit zu sein. Alles andere ist Verrat an der Literatur.
Das hieße ja, die meisten Ihrer Kollegen wären Verräter.
Zumindest halten sich die meisten Literaten für große Fiktionalisten, sind es aber im Grunde gar nicht. Woher nehmen sie denn ihren Stoff? Sie ziehen ihn aus der Nase, und zwar aus ihrer eigenen. Das Fiktive ist nur ein Hirngespinst
Und was ist für Sie gute Literatur, wenn Sie nichts für Fiktion übrig haben?
Gute Literatur ist immer ein Dialog zwischen Autor und Leser. Sie muss bei den Adressaten ankommen. Viele Autoren ballern einfach nur mit ihren intellektuellen Ladungen um sich. Dabei ist das Ich des Autors völlig unwichtig. Man muss nur den sterblichen Menschen in seiner tragischen Existenz erkennen und sehen, wie er rührend versucht, sich an die Ewigkeit heranzutasten. Zum Beispiel mithilfe von Schrebergärten, die uns überdauern werden.
Also: der Schrebergarten als Symbol für die Ewigkeit?
Um etwas Großes wie die Welt zu verstehen, muss man im Kleinen suchen. Der Schrebergarten ist ein Äquivalent zur Welt. Es geht auch dort um Nachhaltigkeit und darum, wie man mit der Natur umgeht, mit anderen Menschen, dem ganzen Planeten.
Sie haben schon einige Bücher über deutsche Eigenarten veröffentlicht. Braucht es die Distanz der fernen Geburt, um ein Land wirklich charakterisieren zu können?
Sicherlich ist das hilfreich. Als fremd Sozialisierter aus der Sowjetunion gibt es für mich hier keine Selbstverständlichkeiten. Ich muss die Dinge hinterfragen und habe dadurch einen offeneren Blick.
Wie stellten Sie fest, dass Sie im Grunde Ihres Herzens ein deutscher Laubenpieper sind?
Die Idee mit dem Schrebergarten war nicht meine, sondern die meiner Frau. Sie hat einen Großteil ihres Lebens im kaukasischen Obstgarten ihrer Oma verbracht und Sehnsucht nach Natur verspürt. Erst als sie mir versichert hat, dass wir nicht wie die Verrückten ackern, habe ich Ihrer Bitte zugestimmt. Sie hat uns dann beim Bezirksverband angemeldet. Bis zuletzt habe ich allerdings gehofft, dass es nicht klappt. Mir schmeckt das Obst aus dem vietnamesischen Gemüseladen um die Ecke gut genug.
Aber dann haben Sie eine Zusage bekommen.
Und damit fing doch die Plackerei an. Laut Übergabeprotokoll musste erst einmal das Satteldach der Steinlaube erneuert, die Wasserschäden bereinigt und der Zaun repariert werden. Meine Frau und ich führten außerdem einen erbitterten Kampf gegen wildwuchernde blaue Blümchen. Und wir beschlossen, unser Kleinod sofort mit einer natürlichen grünen Mauer zu umgeben, einer Hecke. Das war jedoch keine gute Idee.
Warum nicht?
Weil es mächtig Ärger gab. Laut Beschluss der Vollversammlung der Kolonie musste man mindestens fünfzig Zentimeter Abstand zum Zaun des Nachbarn halten, was wir nicht berücksichtigt hatten. Also haben wir die Hecke wieder umgepflanzt. Außerdem sind wir noch anderer Verbrechen beschuldigt worden wie der Ruhestörung durch Rasenmähen am Sonntag oder der unzulässigen Haltung von Korkenzieherweiden. In einem Kleingartenverein gibt es einfach unzählige Gesetze, gegen die man verstoßen kann. Wenn es ganz hart kommt, wird man öffentlich an den Pranger gestellt.
Wie denn?
Am Vereinshaus gibt es ein Anschlagbrett hinter Glas, auf dem Vergehen der Kleingärtner öffentlich gemacht werden. Dort konnte man zum Beispiel über andere Parzellen lesen: „Trotz stark verschmutzter Fenster sind zerrissene Gardinen gut erkennbar“ oder „Das Gras ist meterhoch. Eine kleingärtnerische Nutzung ist nicht erkennbar“.
Haben Sie eine Erklärung für diese Spießigkeit?
Die hängt mit der grundlegenden Sehnsucht der Deutschen nach Ordnung zusammen. Kleingärtner versuchen, ihre Sehnsucht danach auf ihren Parzellen zu stillen. Je mehr in ihrem Leben schief läuft, desto penibler sind sie als Gärtner. Sie mühen sich übertrieben ab, das Paradies im Maßstab von eins zu zehn Millionen nachzubauen. Unordnung können sie überhaupt nicht ertragen. Hat ein Zug Verspätung, verwandeln sich brillante Menschen in Monster und trampeln ihre Kinder nieder. Im Prinzip ist gegen das Ordnungsbedürfnis gar nichts einzuwenden. Es läuft nur nie alles nach Plan.
Aber sind die Russen als Datschen-Fanatiker dem deutschen Kleingärtner nicht sehr ähnlich?
Zwei Welten prallen da aufeinander. Russen fahren zu ihren Datschen, um sich zu erholen – und natürlich zu trinken. Das ist die russische Art, mit der Natur umzugehen. Die Deutschen stellen Gartenzwerge auf und zupfen den ganzen Tag Unkraut. In unserer Kolonie ist es uns gelungen, beide Kulturen zusammenzubringen. Unser Garten ist durchaus ordentlich im Sinne des Bundesgartengesetzes. Andererseits empfangen wir häufig größere Gesellschaften mit Kindern und Hunden. Dann wird gegrillt und Wein getrunken.
Hat Ihr Verein Nachwuchssorgen?
Eher nicht. Die Parzellen um uns herum werden immer mehr von Freunden bezogen, in Berlin ahmen alle anderen alles nach. Yuriy Gurzhy, mein Freund und Mit-DJ unserer „Russendisko“, hat jetzt auch einen Garten in der Kolonie. Er war einmal mit seiner Familie bei uns zu Besuch, zwei Monate später bekomme ich eine SMS von ihm, in der er schrieb: „Gruß aus Parzelle 43“. Seitdem dreht er völlig durch. Als ich neulich ein paar Wochen unterwegs war, schickte er mir fast täglich Botschaften wie „Dein Zwerg ist umgefallen“.
Bizarr.
Oder pathologisch. Kleingartenbesitzer zu sein ist ansteckend.
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ZUR PERSON
Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren und kam 1990 als jüdischer Kontingentflüchtling nach Berlin. Er schreibt für Zeitungen, Zeitschriften, moderiert eine Musiksendung beim RBB Radio MultiKulti und organisiert regelmäßig die legendäre Tanzveranstaltung „Russendisko“. Mit dem gleichnamigen Erzählband und weiteren Büchern über deutsche und russische Eigenarten erschrieb sich der 40-Jährige den Status eines Kultautors. Im Jahr 2011 will er für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin kandidieren. Ob er auch einen Sitz im Vorstand seines Kleingartenvereins anstrebt, ist nicht bekannt.