Andrea Tholl

Journalistin

° Robert Wilson: „Die Radikalisierung wächst“

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Foto © Andrea Tholl

Der Brite Robert Wilson gilt als Meister des literarischen Thrillers. Sein neuer Krimi „Die Maske des Bösen“ handelt von einem terroristischen Anschlag in Sevilla. Im stern.de-Interview spricht der 50-Jährige über den Umgang mit der Terrorgefahr

Vor fast 25 Jahren kam Robert Wilson das erste Mal in die andalusische Metropole – mit dem Fahrrad aus London. Heute ist seine Anreise weniger aufwendig, nur ein paar Fahrstunden von Sevilla entfernt lebt er im portugiesischen Alentejo. An diesem Morgen wartet der Autor vor der gotischen Kathedrale, der größten der Welt und Pflichtprogramm aller Sevilla-Touristen. Und will schnell wieder weg, um dem Trubel zu entfliehen. Außerdem habe er Hunger und würde gern frühstücken.

In der kleinen Bar ein paar Straßen weiter bestellt Wilson in perfektem Spanisch einen „Café con leche y una tostada con aceite“, einen Milchkaffee und einen Toast mit Olivenöl. Der große, kantige Mann mit dem kahlen Schädel rollt gekonnt das „r“ in „por favor“, das er höflich ans Ende setzt: „bitte“. Wilson schwärmt für das spanische Essen, vor allem für die sevillanischen Tapas, die er für die besten der Welt hält. Sowieso würde ihm die Lebensart der Sevillaner gefallen, die Stadt wirke wie ein Jungbrunnen. Trotzdem habe natürlich auch Sevilla seine Schattenseiten, auch hier werden Verbrechen begangen. In Wilsons neuem Roman gerät die Stadt sogar ins Fadenkreuz von Terroristen.
Andrea Tholl: In „Die Maske des Bösen“ explodiert eine Bombe mitten in Sevilla. Alles deutet auf einen islamistischen Anschlag hin. Ein bedrückend realistisches Szenario angesichts der zunehmenden Terrorgefahr in Europa.

Robert Wilson: Ja, leider. Die Radikalisierung wächst. Und daran ist der Westen massiv beteiligt. In den letzten Jahren wurden schwerwiegende Fehler begangen, vor allem von den USA. Man denke an die Invasion Afghanistans und des Irak, den hart ausgetragenen Atomkonflikt mit dem Iran oder die Unterstützung Israels im Kampf gegen die Hisbollah. All diese Taten nutzen die radikalen geistlichen Führer aus, um den Hass zu schüren.

Welche Möglichkeiten hat die Politik, mit der gegenwärtigen Terrorgefahr umzugehen?

Politiker befinden sich in einer schwierigen Lage, weil es nicht möglich ist, direkt mit den Terroristen zu verhandeln, es gibt so viele verschiedene Gruppierungen. Außerdem handelt es sich bei den islamischen Terroristen um einen sehr geringen Prozentsatz. Politiker können nur das tun, was sie ohnehin schon tun. Zum Beispiel sich mit den muslimischen Gemeinschaften im eigenen Land auseinandersetzen, um dadurch zu verhindern, dass aus Radikalismus Terrorismus wird. Und Polizei und Geheimdienste so schulen und ausstatten, dass sie es mit diesem neuen Feind aufnehmen können.

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Foto: © Andrea Tholl

Bisher haben Sie in Ihren Büchern immer ein historisches Thema mit einem Mordfall verknüpft. Gab es für Sie einen bestimmten Grund, sich nun eines aktuelleren Themas anzunehmen?

Nach den Bombenanschlägen in Madrid im März 2004 wusste ich sofort, dass ich – ein Krimiautor auf der iberischen Halbinsel – dieses Thema nicht ignorieren konnte. Ich will die Menschen schließlich nicht nur unterhalten, sondern sie vor allem zum Nachdenken bringen.

Ihre Reihe mit Chefinspektor Javier Falcón spielt in Sevilla. Für Ihre Islam-Bezüge hätten Sie in Europa kaum einen besseren Schauplatz finden können.

Das stimmt. Sevilla hat eine lange islamische Vergangenheit. Mehr als 500 Jahre wurde die Stadt im Mittelalter von muslimischen Herrschern geführt – nicht zu ihrem Nachteil: Die Architektur und Wissenschaft der Mauren war der in Europa damals weit voraus, das heute immer noch spürbare kulturelle Erbe aus dieser Zeit ist großartig. Nicht ohne Grund ist Sevilla die Hauptstadt einer Region, die Al-Qaida wieder muslimisch machen will. Das habe ich durch eigene Recherchen herausgefunden. Und auch Chefinspektor Javier Falcón hat einen arabischen Hintergrund – er ist Halbspanier und Halbmarokkaner, also ein Mann mit muslimischen Wurzeln.

Falcón hat es dieses Mal besonders schwer. Er muss einen grausamen Mord aufklären und ist gleichzeitig in die Untersuchung eines Bombenattentats eingebunden, bei dem es ein Dutzend Tote und mehr als 400 Verletzte gab.

Es ist wirklich Falcóns schwerster Fall. Außerdem glaubt er nicht so recht an einen terroristischen Hintergrund des Attentats, sondern vermutet einen Zusammenhang der beiden Fälle. Dass er sich damit nicht nur Freunde bei der Polizei und den Geheimdiensten macht, liegt auf der Hand.

Wie haben Sie für das Buch recherchiert?

Ich habe sehr viel gelesen. Die wertvollste Erfahrung war aber, in Marokko direkt mit Fabrikarbeitern zu sprechen. Frauen beklagten sich, dass sie nicht heiraten könnten, weil ihre Verlobten keine Jobs hätten. Und ohne Heirat könnten sie keine Kinder bekommen. Der höchste Wert eines muslimischen Mannes, eine Familie zu gründen, kann also wegen der äußeren Umstände nicht erfüllt werden. An diesem kleinen Einblick sieht man das fundamentale Problem.

Der Roman verlässt das klassische Krimigenre und ist eine Mischung aus Krimi und Verschwörungsthriller. Die Story ist sehr komplex, manchmal leider etwas unübersichtlich.

Zugegeben, es ist eine sehr, sehr komplizierte Geschichte. Aber das liegt in der Natur des Verbrechens, nur dadurch wird die Story glaubwürdig. Ich wollte einen so hohen Grad an Komplexität erreichen, dass es der Leser nicht mehr aushält. An einem Punkt entwirren sich aber die einzelnen Fäden und der Leser ist – hoffentlich – befriedigt. Um das Ganze verdaulicher zu machen, habe ich noch einen Trick angewendet.

Und zwar?

Ich erzähle Geschichten in der Geschichte. Während der großangelegten Untersuchung müssen einige der Hauptfiguren grausame Dinge erleben. Damit bringe ich neben der globalen Dimension noch die psychische Ebene von Terror ins Spiel.

Sie selbst sind Engländer, leben aber in Portugal auf dem Land. Sie müssen also nicht unmittelbar befürchten, bei einer Bombenexplosion ums Leben zu kommen. Was aber ist mit Ihrer Familie in London, haben Sie Angst um Ihre Angehörigen?

Nein. Auch als ich in den 80er Jahren noch in London lebte und die IRA Bomben legte, hatte ich keine Angst. Manchmal konnte ich die Explosionen sogar hören. Damit muss man einfach leben und darauf hoffen, kein Pech zu haben.

Das klingt fatalistisch.

Man muss einfach wachsam sein. Trotzdem darf man auf keinen Fall sein Leben ändern. Wenn die Terroristen merken, dass sie erfolgreich sind, wird alles nur noch schlimmer.

Warum sind Sie eigentlich Ende der 80er Jahre aus England weggegangen?

Ich konnte erst mit dem Schreiben beginnen, nachdem ich meine Heimat hinter mir gelassen hatte. Ich fühlte mich in Portugal einfach besser. Was mich als Schriftsteller antreibt, ist die Unterschiedlichkeit der Dinge. Man muss in der Lage sein, Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen und anders zu beurteilen.

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Foto: © Andrea Tholl

Zurück zu Sevilla. Was verbindet Sie persönlich mit der Stadt?

Die Stadt hat mich fasziniert vom ersten Augenblick. Sie scheint dafür geschaffen worden zu sein, in einer wundervollen Umgebung eine unvergleichliche Zeit zu erleben. Die Sevillanos lieben es, gut zu essen, zu trinken, zu feiern, Musik zu machen, überhaupt ist es hier wie in einem riesigen Straßentheater, Tag und Nacht. Niemand verlässt Sevilla ohne einen Eindruck von dieser Schönheit und Vitalität mitzunehmen.

Gibt es keine Schattenseiten?

Die gibt es natürlich auch hinter all dem schönen Schein. Wie andere Städte hat Sevilla ein Drogen- und Rassismusproblem. Die Stadt kann außerdem sehr klaustrophobisch wirken, weil dort alles so eng bebaut ist. Als ich längere Zeit in Sevilla lebte, hing ich gern auf der Dachterrasse Wäsche auf, um einfach mal den Himmel zu sehen. Die Vorteile überwiegen aber eindeutig, und einer ist besonders für ältere Menschen wie mich ganz interessant.

Inwiefern?

Wir Nordeuropäer ab 50 haben auf den Straßen häufig das Gefühl, Luft zu sein, nicht mehr beachtet zu werden. Das ist in Sevilla anders. Dort schauen einem die Menschen ins Gesicht. Auch wenn man älter ist. Also: Auf nach Sevilla und sich darauf gefasst machen, wieder jemand Besonderes zu sein.

 

Veröffentlicht auf stern.de

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