Die meisten Krimiautoren müssen sich erstmal einen Einblick in den Polizei-Alltag verschaffen. Umgedreht gibt es kaum Polizisten, die schreiben. Norbert Horst ist so einer. Im stern.de-Interview erzählt der preisgekrönte Autor von seiner ungewöhnlichen Karriere.
Andrea Tholl: Herr Horst, für Ihr Debüt „Leichensache“ bekamen Sie 2004 den Friedrich-Glauser-Preis, für den zweiten Roman „Todesmuster“ folgte 2006 prompt der renommierte Deutsche Krimipreis. Ist Ihnen dieser Erfolg unheimlich?
Norbert Horst: Einfach ist das wirklich nicht. Ich komme aus einem christlichen Arbeiterhaushalt. Da war es wichtiger, auf andere Rücksicht zu nehmen als an sich selbst zu denken. Jetzt stehe ich in der Öffentlichkeit und denke: Diesen Erfolg darfst Du gar nicht haben, Norbert, der steht Dir gar nicht zu.
Wieso denn nicht?
Es ist eine merkwürdige Ambivalenz. Einerseits ist es natürlich ein großes Kompliment, andererseits ist es mir zu viel. Vielleicht hängt das mit mangelndem Selbstvertrauen zusammen. Wenn man in der Arbeiterschicht groß geworden ist, bekommt man schon so ein Gefühl von: es gibt ein Oben und ein Unten. Und das behindert mich manchmal in meinem Denken und Handeln. Gehöre ich da wirklich hin, auf die Seite des Erfolgs?
Hauptberuflich sind Sie Polizist. Was hat Sie als junger Mann gereizt, zur Polizei zu gehen?
So genau weiß ich das gar nicht mehr. Das ist ja schon lange her. Ich war damals 18. Vielleicht bin ich Polizist geworden, um Abenteuer zu erleben oder wegen meinem Empfinden für Gerechtigkeit. Es kann aber auch pure Bequemlichkeit gewesen sein. Ich habe mich da beworben, die haben mich genommen. Und das war’s dann.
Im Laufe Ihrer Polizeiarbeit haben Sie viele verschiedene Stationen durchlaufen.
Ja. Am Anfang bin ich in Düsseldorf Streifenwagen gefahren, habe mich später an der Fachhochschule zum Kommissar weitergebildet, war beim LKA, habe als Kripomann ermittelt: Wirtschaftskriminalität und Tötungsdelikte. Dann wurde ich Trainer für Stressbewältigung. Und seit Anfang September arbeite ich in der Pressestelle der Polizei in Bielefeld.
Und wie wird ein verbeamteter Polizist Schriftsteller? Das liegt ja nicht gerade auf der Hand.
Ich hatte immer Spaß an Worten, schreibe schon seit über dreißig Jahren. Früher Songtexte, Liebesgedichte und Kurzgeschichten. Mitte der 80er Jahre bin ich in Bünden zur Schreibwerkstatt gekommen, einem Kurs an der Volkshochschule. Damit wurde das Schreiben ernsthafter. Ich wollte gern mal was Längeres verfassen. Daraus ist dann der erste Krimi entstanden. Heute ist die Schreibwerkstatt ein Freundeskreis. Wir treffen uns und kritisieren gegenseitig unsere Texte – ein ganz schön bunter Haufen. Vom Bierzeitungsschreiber bis zum Krimi-Preisträger ist alles dabei.
Wie kam es dann vom Schreiben als Hobby zur Veröffentlichung Ihres ersten Krimis?
Ich habe den Roman zuerst an einen Verlag in Ostwestfalen geschickt. Der sollte allerdings einen Bezug zur Region haben. Deshalb gibt es von „Leichensache“ auch eine Bielefeld/Osnabrück-Version. Der Mann der Verlagsleiterin war Übersetzer bei Goldmann und hatte die Idee, das Buch dorthin zu schicken. Am 12. Mai 2001 um 11.55 Uhr, es war ein Freitag, kam der Anruf: „Herr Horst, Wir würden gern Ihr Buch veröffentlichen“. Das war ein echter Brummer.
Liegt es für einen Polizisten nah, Krimis zu schreiben, wenn er denn schreibt?
Die habe ich früher nicht mal gelesen. Aber plötzlich war dieser Gedanke da. Für die Polizeiarbeit musste ich nicht viel recherchieren, wie es andere Krimiautoren machen müssen, die keine Polizisten sind. Ich habe ja selbst alles hundert Mal erlebt. Ich musste mir nur einen Ermittler ausdenken.
Der heißt Konstantin Kirchenberg, liebt behaarte Frauen und geht schon mal ins Pornokino.
Es sollte halt ein normaler Ermittler werden, keine Kunstfigur. Ein Mann mit Brüchen. Kein Wallander, der das Leid der Welt auf seinen Schultern trägt oder ein Marlowe, der seine Sorgen nur ’ner Flasche Bourbon anvertraut. Ich finde, Kirchenberg ist durchaus ein Frauenversteher. Der behandelt seine Kolleginnen im Job überhaupt nicht sexistisch. Kann aber sein, dass Frauen ihn nicht mögen, weil er auf Brüste und Achselhaare steht.
Sie muten den Lesern schon einige Derbheiten zu. In Ihrem neuen Buch „Blutskizzen“ gibt es zum Beispiel eine Szene, in der Kirchenberg plötzlich Durchfall bekommt und es nicht mehr zum Klo schafft. Oder in „Todesmuster“ – da stellt sich eine neue Kollegin vor: Rebecca Blew. Ja, Englisch. Wie blasen, blies, geblasen„.
Polizisten sprechen halt Deutsch, und damit meine ich: Klartext. Das hängt damit zusammen, dass unsere Kunden auch Deutsch sprechen. Bei Einsätzen in Sozialwohnheimen sagt keiner „Herr Wachtmeister“ zu mir. Da herrscht ein anderer Umgangston.
Auch der Stil Ihrer Bücher ist gewöhnungsbedürftig. Sie erzählen radikal subjektiv aus der Perspektive Ihres Ermittlers Kirchenberg – kurz und stakkatoartig. Gleichzeitig beschreiben Sie radikal objektiv und ausführlich Polizeiakten und Umlaufprotokolle.
Dieser Stream-of-Consciousness-Stil hängt mit der Perspektive zusammen. Ich beschreibe nur, was Kirchenberg sieht, denkt und spricht. Das, was er fühlt, kann ich schon nicht mehr beschreiben, weil man seine Gefühle selten reflektiert. Es geht um die Konstruktion von Realität. Dazu passt aus meiner Sicht eine kurze Sprache. Dieser ungewöhnliche Stil ist dafür verantwortlich, dass ich Preise gewinne. Oder die Leute das Buch nach dreißig Seiten aus der Hand legen.
Und was ist das Interessante an Polizeiakten?
Es gibt doch nichts Spannenderes als eine Mordakte! In so einer Akte baut sich allmählich Spannung auf, ohne dass viel passiert. Vom Befund, der Obduktion, den Vernehmungen, den Faxen und Berichten.
Wie viel von Ihrer eigenen Erfahrung als Polizist fließt in Ihre Bücher ein?
Die Grundstory ist immer komplett fiktiv. Aber natürlich fließen Dinge aus der Praxis mit ein, die Stimmung, der Ton der Dialoge, die Charaktere. Was mich selbst angeht, versuche ich, so wenig autobiographisch wie möglich zu sein. Was natürlich nicht geht. Meine Frau sagt, man erkennt mich in Kirchenberg, an der Art, wie der redet.
In Ihrem Leben haben Sie wegen Ihres Jobs als Hauptkommissar schon viele Tote gesehen, auch Mordopfer. Ist das nicht schwer zu ertragen?
Für mich ist es nicht so schlimm, mit Tod zu tun zu haben, wie für einige anderen Kollegen. Auch wenn es eine Binsenweisheit ist, der Tod gehört zu uns. Er wird aber weggeschoben, tabuisiert, findet auf Intensivstationen statt. Aus Forschungen weiß man, dass ein Drittel der Menschen nach schlimmen Vorfällen posttraumatische Störungen behalten, zwei Drittel aber nicht. Man darf sich also nicht verdächtigen, wenn man denkt: Heute Nacht hatte ich zwei Leichen und konnte trotzdem gut schlafen. Ich bin meistens gut damit klar gekommen.
Woran erkennt man ein richtiges Trauma?
Das ist ein selbstreflektorischer Vorgang. Alkoholmissbrauch oder Schlafstörungen sind Indizien. Ebenso Gereiztheit und Nervosität. Dran zu denken, ist normal. Ich hatte während meiner Trainerzeit mal einen Fall, da hat der Kollege vor 25 Jahren einen Täter erschossen. Die standen sich bei einer Verfolgung plötzlich gegenüber. Mein Kollege war schneller. Ein rechtlich und moralisch einwandfreier Vorgang. Am nächsten Tag schob der Kollege wieder Dienst, als wenn nichts gewesen wäre. Aber der hatte jahrelang Flashbacks, träumte immer wieder davon, wie die beiden voreinander standen. Der brauchte therapeutische Hilfe.
Haben Sie noch Bilder von Toten im Kopf, die Sie bis heute begleiten?
An meinen ersten Mord kann ich mich noch erinnern. Ich war Schutzpolizist, ein junges Mädchen wurde ermordet. Außerdem erinnere ich mich an einen fünfjährigen türkischen Jungen, der ertrunken ist. Obwohl der Notarzt alles versucht hat, haben sie ihn nicht zurück gekriegt. Damals habe ich viele Geschichten über die Begegnung mit Tod geschrieben.
Könnten Sie sich vorstellen, den Polizistenjob an den Nagel zu hängen?
Klar. Wenn die Verkaufszahlen stimmen. Das ist für deutsche Autoren bloß schwierig, weil der Markt nicht so groß ist. Aber Schriftstellersein als Lebenskonzept, also noch einmal was ganz Neues machen, find ich gut. Immerhin bin ich heute ein Autor, der auch Polizist ist. Früher war ich nur ein Polizist, der schreibt.
Dann müssen sie weiterhin zwei völlig verschiedene Jobs miteinander vereinbaren, die beide viel Zeit kosten. Ein ziemlicher Spagat.
In diesem Jahr war es hart. Ich habe mich dazu verleiten lassen, dem Verlag zu sagen, ich schaffe den dritten Roman bis zum Sommer. Also habe ich geschrieben, in jeder freien Minute. Am Ende von morgens um fünf bis spät in die Nacht. Dabei vertrödele ich so gern die Zeit. Ich bin im Grunde meines Herzens nämlich ’ne völlig faule Sau.